Alte Feuerwache Loschwitz trauert um Holger Gössel

 

Holger Gössel

Als ich vor knapp einem Jahr die Stelle als Geschäftsführer des Vereins antrat, begegnete mir Holger nicht zum ersten Mal. Irgendwie kannte ich ihn, wenn auch nicht persönlich, als Loschwitzer Original, von Freunden wegen seines nicht unbedingt ganz gewöhnlichen Erscheinungsbildes auch gern liebevoll „die Flatterhose“ genannt. Ich erinnere mich noch an einen halbseitigen Zeitungsbericht in der Dresdner Lokalpresse, in dem über seine astrologische Beratungstätigkeit berichtet worden war. Wir grüßten uns, ohne einander wirklich zu kennen.

Seit September vergangenen Jahres begegnete mir Holger Gössel jedoch fast täglich, trugen doch alle Schriftstücke rund um die Alte Feuerwache Loschwitz seine Insignien. Wohl geordnet stehen sie hier in meinem Regal, dokumentieren ein Stück Geschichte des Vereins. Aber auch selbst bekam ich ihn oft zu Gesicht, bot er mir seine Hilfe an, unterstützte er mich bei der Einarbeitung in meine neue Tätigkeit. Ich bewunderte nicht selten diese Toleranz und Akzeptanz, die er gegenüber mir als seinem Nachfolger aufbrachte.

Regelmäßig besuchte er unsere Vernissagen, kam zu Konzerten oder einfach mal so in die „Trille“. Der Verein war nach über einem Jahrzehnt federführender Mitarbeit seine Heimat geworden und ist es wohl auch bis zu seinem tragischen Ableben immer geblieben.

Neunundvierzig Jahre, noch nicht einmal Fünfzig, für jeden unfassbar. Sahen wir ihn doch alle noch am Montag vergangener Woche, wie er in gewohnter Manier die Performance zum 15. Jubiläum unseres Vereins kommentierte. Dieses, nie böse gemeinte, in sich Hineinschmunzeln, jene wohlwollende Beobachtung, sein offenes, manchmal auch zu Recht kritisches Wort. All das ließ mich, uns alle, ließen ihn wahrscheinlich selbst die offensichtlichen Zeichen seiner schweren Krankheit übersehen.

Holger Gössel war ein Mensch der besonderen Art, seine Beschäftigung mit der Astrologie gleichsam ein Stück seiner Identität. Wer menschliches Tun mit dem Stand der Sterne zu erklären versucht, sieht die Dinge oft aus einer völlig anderen Perspektive. Gleichwohl hat er sich nie vor dem Leben gedrückt – es vielmehr erlebt, gelebt.

Viel zu früh scheidet Holger Gössel aus dem Leben, selbst er hätte wohl keine Erklärung dafür. Es ist das Schicksal, welches uns einen geachteten und von seiner Familie geliebten Menschen nimmt. Es können nicht die Sterne verantwortlich gewesen sein, sie hätten ihn sicher gewarnt. Sein Verlust schmerzt uns sehr, wir werden ihn niemals vergessen.

Hans-Peter Fischer
-Geschäftsführer-

 

Die Beisetzung fand am Donnerstag, dem 24. Juli 2008, 15.00 Uhr auf dem Friedhof Loschwitz statt.

NACHRUF

Wir empfinden Veränderungen mit unseren Sinnen
und dieser Eindruck ist ein komplexer.

Eine leere Sitzfläche,
ein nicht zurückgestellter Stuhl bezeugen uns vorsichtig
die Endgültigkeit einer stattgefundenen Veränderung.
Aus unserer Mitte hat sich Jemand, der augenscheinlich
immer neben uns war, von uns begeben, unerwartet,
viel zu früh und ohne uns ahnen zu lassen,
daß es so kommen wird.
Der Stuhl bleibt leer,
aber nicht unbemerkt.

Dieser Stuhl gehörte

Holger Gössel

 

Holger Gössel war untrennbar mit der Alten Feuerwache Loschwitz und der Entwicklung dieser kulturellen Einrichtung verbunden. Als Geschäftsfüher und als Loschwitzer, der seine Arbeit tat so gut es ihm möglich war, dies immer mit Hingabe und grenzenloser Hilfsbereitschaft stand er über 14 Jahre in der ersten Reihe der Aktiven für ein Kunst- und Kulturleben in der Alten Feuerwache. Seine Verbundenheit ging so weit, daß wohl auch das Bier für die „Trille“ an allen Sonn- und Feiertagen geliefert werden konnte, denn Holger war einfach immer da. Man konnte auf ihn zählen, auch wenn es zu großen Turbulenzen kam, Gössel war einfach das Urgestein der Feuerwache, ein Menschenfreund, stoisch, kritisch und unbeugsam.

Wir möchten ihm ein letztes Dankeschön sagen, seine Leistungen würdigen, die er in all den Jahren mit großer Selbstverständlichkeit der Alten Feuerwache Loschwitz angedeihen ließ. Holger wollte keine Form „moderner Äußerlichkeiten“ leben, weder im Privaten noch als Geschäftsführer unseres Vereines. In seiner eigenwilligen, originären und selbstbestimmten Art hat er den Verein mit wesentlicher Kraft und Stabilität über Jahre geprägt. Damit hat er sich unauslöschlich in unsere Erinnerung eingegraben.

Holger, Du würdest in Deinen Bart lächeln, aber
…. wir nehmen ungern Abschied von Dir.

e. Kunst- und Kulturverein
Alte Feuerwache Loschwitz

Aus dem Kondolenzschreiben des Geschäftsführers des Landesverbandes Soziokultur Sachsen e.V., Tobias Knoblich, an die Lebensgefährtin von Holger Gössel:

„Mit Bestürzung und Trauer haben wir vom Tod Holger Gössels erfahren. Er war uns viele Jahre ein lieber und wichtiger Begleiter beim Aufbau und der Fortentwicklung der Soziokultur in Sachsen. Viele Sitzungen unserer Mitgliederversammlung hat er bereichert, wir denken gern an seine sehr spezielle, mitunter auch kritische Art, seine Auffassung von Soziokultur in unser gemeinsames Nachdenken einzubringen. Unsere Arbeit lebt von Menschen, die Überzeugungen haben und nicht müde werden, ihr Bild von einer bürgernahen und zugleich anspruchsvollen Kulturarbeit zu vermitteln.

Für die Alte Feuerwache Loschwitz, eine Mitgliedsorganisation des Verbandes, war er überaus prägend. Er hat viel für die Vermittlung des Netzwerkgedankens Soziokultur geleistet und sich als verlässlicher, immer offener Gesprächspartner erwiesen, den wir sehr vermissen werden. Holger wird uns in Erinnerung bleiben, er hat seinen festen Platz im soziokulturellen Gefüge Sachsens. Ich darf Ihnen im Namen unserer Mitglieder in ganz Sachsen, des Vorstandes sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Landesgeschäftsstelle in Dresden mein herzliches Beileid aussprechen. Wir werden Holger bei seiner Beisetzung die letzte Ehre erweisen.“

Rede von Gunter Ziller auf der Trauerfeier am 24. Juli 2008 auf dem Friedhof Loschwitz:

Liebe Cornelia Janecke, liebe Maud und Sarah Janecke, lieber Friedrich Engelhardt, liebe Gabi Engelhardt, sehr geehrter Jürgen Richter, verehrte Trauergemeinde, liebe Freunde von Holger,

wir nehmen heute Abschied von Holger Gössel. Ich habe ihn 1972 auf der Augsburger Straße 47 kennengelernt, wo er sehr oft bei Freunden von mir zu Gast war und ihn sehr bald als äußerst hilfsbereiten jüngeren Freund schätzen gelernt, der auch in geselligen Diskussionsrunden der teils wesentlich Älteren eine Bereicherung aus der folgenden Generation war. Holger wohnte damals im anderen Stockwerk des gleichen Hauses mit seinen Eltern, der Schneiderin Martha und dem Ingenieur Georg Gössel, beide Nachkriegsjahrgang 1919 sowie der reichlich 2 1/2 Jahre jüngeren Schwester Angela, die 1998 ebenso tragisch viel zu jung starb, wie jetzt Holger. Die Mutter starb schon 1983, sein Vater 2005.

Holger Gössel hätte in 18 Tagen seinen fünfzigsten Geburtstag feiern können, er wurde am 11. August 1958 in Dresden-Trachau geboren und wuchs als Kind auf der Goetheallee auf, bevor die Familie 1970 auf die Augsburger zog. 1972 trat er der ehemaligen „Gesellschaft für Sport und Technik “ bei um Segelflieger zu werden. Schon als Jugendlicher las er viel, neben Kriminalromanen besonders technisch-utopische und astronomische Literatur. Nach dem Schulabschluss erlernte er bei den Dresdner Verkehrsbetrieben den Beruf eines Elektrikers, den er bis 1982 im VEB Briefalux und der GPG Floradres ausübte. Schon 1976 wurde er Vorsitzender des Jugendclubs Dresden-Striesen auf der Augsburger Straße.

1980 zog er ins Erdgeschoss eines Seitengebäudes des Cafes zwischen Schwebebahn und Loschwitzer Kirche, wo vor ihm kurzzeitig der Maler Peter Herrmann gewohnt hatte. Dieses Seitengebäude, Pillnitzer Landstraße 7, begann er zusammen mit dem damaligen Freund Ulrich Gebauer , der heute in Berlin eine der ersten Galerien führt, bis zu dessen Ausreise im Sommer 1985, auszubauen.

Von 1983 bis zum Beginn des Jahres 1986 war Holger Hausmeister und Handwerker der Loschwitzer Kirchgemeinde. In dieser Zeit 1984/85 war er als Kriegsdienstverweigerer Bausoldat in Prora auf Rügen. Ab Februar 1986 arbeitete er als Haushaltshilfe und in der pflegerischen Betreuung alter Menschen bei der Volkssolidarität, die ihn 1992 entließ. Im Oktober wurde sein Sohn Freidrich geboren.

Vor nunmehr fast 20 1/2 Jahren im Januar 1988 zog seine zweite Lebensgefährtin Cornelia Janecke mit zwei Kindern aus ihrer vorausgegangenen Ehe in die Pillnitzer Landstraße 7. Hier wurden auch im November 1988 und im März 1990 Holgers Töchter Sarah und Maud geboren, so dass die Lebensgemeinschaft kurzzeitig zu sechst in der kleinen Wohnung wohnte, bis Cornelia Anfang 1991 eine größere Wohnung in Blasewitz mieten konnte. Fortan pendelte Holger regelmäßig zwischen Loschwitz und seiner Familie in Blasewitz. Er behielt die Loschwitzer Wohnung, in der er auch starb, bis zu seinem tragischen Tod am 10. Juli infolge eines Zucker-Schocks aufgrund einer Schädigung der Bauchspeicheldrüse.

Nach seiner Arbeitslosigkeit von einem reichlichen Jahr begann für Holger Gössel im Mai 1993 der wohl wichtigste Abschnitt seines beruflichen Lebens. Zunächst als ABM-Maßnahme begonnen, war er seit Mai 1994 Geschäftsführer des Kunst- und Kulturvereins „Alte Feuerwache Loschwitz“. In diesem Rahmen absolvierte er 1996/97 erfolgreich eine Weiterbildungsmaßnahme als „Soziokultur-Manager“ an der „Akademie für Weiterbildungen und Wissenstransfer der Technischen Universität Dresden e.V.“ . Bis zu seiner Kündigung durch den Verein Ende August 2007 infolge Kürzungen der Förderung durch den Kulturausschuss der Stadt und der daraus folgenden Umstrukturierungen war er „Herz und Seele“ der „Alten Feuerwache Loschwitz“ sowie deren wesentlicher Garant für den reibungslosen Betrieb. Dies wird auch der neue Geschäftsführer des Vereins in seinem Nachruf in der August-Nummer des „Elbhang-Kuriers“ noch einmal bestätigen.

Holger Gössel war Zeit seines Lebens ein Suchender. Seine Eltern waren Anthroposophen, aber Holger selbst nie förmliches Mitglied der auf den Spuren Rudolf Steiner wandelnden Christengemeinschaft. Seine Stellung als Pazifist ist durch seine Kriegsdienstverweigerung eindeutig belegt. Und Dennoch pendelte er nach 1990 im Bermudadreieck konträrer Positionen und unterschiedlicher Verschwörungstheorien infolge verschiedener Einflüsse umher. Dies sorgte für teils heftige Diskussionen mit ihm , die ein Spektrum von „sehr ernst“ bis „unterhaltsam“ abdeckten, nie aber seine grundsätzliche Menschenfreundlichkeit, Hilfsbereitschaft usw. – also kurz die Insignien eines eines guten zwischenmenschlichen Zusammenlebens in Frage stellten. Auf einer vergleichbaren Ebene liegt, dass er seit 1991 glaubte mittels Astrologie menschliches Leben und Schicksal wissenschaftlich zu erkennen, ja beeinflussen zu können. In dieser zunehmenden Gemeinde hat er es in bewundernswerter Kontinuität zur nebenberuflichen „Praxis für astrologische Beratung “ mit Fax, E-Mail und Internetauftritt sowie zahlreichen Erwähnungen in der lokalen Presse gebracht.

Abschied: Lebe wohl, lieber Holger. Und ich sage mit Absicht „Lebe wohl“, denn du wirst weiterleben in der Erinnerung deiner Kinder Friedrich, Sarah und Maud, in der Erinnerung der Mütter deiner Kinder Gabi und Cornelia, in der Erinnerung deines Halbbruders Jürgen sowie in unser aller Erinnerung, die wir dich gekannt und gemocht haben und mit dir befreundet waren.

Am Grabe: Hier am offenen Grabe möchte ich als erster die Gelegenheit ergreifen allen Anwesenden Angehörigen und Nahestehenden mein tief empfundenes Beileid auszusprechen und meinen Schmerz auszudrücken, von dem Schmerz zu sprechen, als ich relativ hautnah am Abend des 10. Juli von Holgers Tod erfuhr.